Ein schönes Projekt –
und so gut für die Seele ...

Ich habe einen alten Spaethe Flügel vor dem Verschrotten gerettet und mich zur Restauration entschlossen.
Das Ding war völlig auf – es war äußerst spannend, nach und nach zu sehen, dass ich ihn tatsächlich noch retten konnte ...

So stand er da. Funktionslos und nur noch schlechte Deko.
Er schien nur noch zu taugen als skurriles Hochbeet im Garten.

Tot gesagt hatte man ihn ...

 

Von 88 Tasten bewegen sich knapp die Hälfte gar nicht mehr. Und was sich bewegt, macht keine schönen Klänge!

Man darf gespannt sein ...

Die Zerlegung ist nun in vollem Gange.

Zunächst geht's an die Klaviatur: Die alten Auflagen sind weitgehend entfernt, der Diskant bereits geschliffen und auch der Rahmen ist inzwischen überholt ...

Alte Garnierungen raus, Führungen besäubern, Klaviaturstifte richten, neu garnieren, Filzdruck einstellen, ...

Zur Erneuerung der Bäckchengarnierungen wird Kashmirtuch verwendet, gewebt aus den Haaren der Kashmirziege und kalibriert auf 1,1 bzw. 1,3 mm Stärke.

Die Garnierungsklötzchen habe ich selbst hergestellt und auf exakt 3,55 mm gefräst. Die Tasten müssen nachher absolut reibungsfrei aber ohne Spiel auf den Klaviaturstiften laufen.

TrarraTrarraaa-die-Post-war-da ...

Ganze ACHTZEHN verschiedene Arten Filz brauche ich für die Restauration und Regulierung des Flügels:

  • gewebte und Wollfilze
  • unterschiedliche Härten, Dichten und Fasern
  • Kashmirtuche sogar auf verschiedene Stärken mit 0,1 mm Differenz kalibriert (0,9 - 1,4 mm) !!

Alles an der Klaviatur ist hübsch überarbeitet. Alte Beläge weg, Leim entfernt, geschliffen, begradigt – fertig für die neuen Tastaturauflagen der Ganztöne.

Das Aufbringen neuer Klaviaturbeläge ist echt mühsam – aber es lohnt!

Und hier erkennt man auch schon eine weitere Baustelle: Die Bleistöpsel zur gleichmäßigen Gewichtung der Tasten wollen komplett erneuert werden ...

Heute ist die Lyra mit dem Pedalwerk an der Reihe. Die alten Filzpolster (links) haben beeindruckende Altersspuren und bemerkenswert ist auch die Lagerung der Pedalachsen in einer Buchse aus Buchenholz!

Nun muss ich ein paar Chemikalien besorgen, um das Messing neu zu brünieren ...

Die Filzpolster zur Betätigung der Dämpferlöffel sind ziemlich verschlissen und zum Teil von Motten angefressen. Also: Neu machen ...

  • links der alte Zustand
  • exakt entfernt und gesäubert in der Mitte
  • schließlich rechts sorgsam neu belegt

Das Entfernen der Dämpferabhebefilze mittels Stecheisen ging super ätzend!

Flux eine Vorrichtung gebaut und schon kann ich auf den Micrometer genau die alte Verleimung samt Filz wegfräsen ...

(Wer mich kennt, kennt meine Vorliebe für gute Werkzeuge 😉 )

Nun geht es an die Repetitionsmechanik.

Alles wartet hübsch geordnet.
Die ursprüngliche, bereits über hundertjährige Zuordnung der einzelnen Komponenten darf keinesfalls durcheinander geraten!!

Schon beim Entfernen des Hammerwerks wird deutlich, wie viel Aufmerksamkeit die Hebeglieder von mir erwarten.

Und an der welligen Form des Ruheleistenfilzes sieht man: hier lang lange Zeit viel zu viel Druck drauf. Denn eigentlich dürfen die Hämmer in Ruheposition diesen Filz gar nicht berühren!

Also: Erneuern.

Jede der 88 Repetitionsmechaniken knöpfe ich mir einzeln vor. Die Achsen werden ausgetauscht, die Filzgarnierungen erneuert und neu kalibriert, Federn müssen gerichtet oder neu gefertigt werden ...

Exaktes Zusammenspiel der Komponenten bei minimaler Reibung ist das Ziel.

Die alten Achsen der Mechaniken (mitte unten) sind teilweise sogar verbogen !!

Die Achsbuchsen werden nach Neu-Garnierung mit Kashmirtuch durch eine Reibahle (links unten) auf die exakte Stärke ausgeschliffen. Die neuen Achsstifte aus Neusilber liegen links schon bereit ...

Yeah !!
Hebeglieder und Hammerwerk sind wieder gründlich überholt in Reih und Glied.

Was zuvor krumm und schief, verklemmt und schwergängig war, läuft nun im wahrsten Sinne reibungslos ...

Hilfe!!

Kann mir jemand helfen?

Dies ist das Original Schild mit der Seriennummer 886.

Ich kann einfach nicht rausfinden, wie alt mein Patient hier ist. Mindestens 73 Jahre müssen es sein, denn seitdem baut Spaethe keine Flügel mehr ...

Juha: Hat www.restauration-gera.de keine Archive mehr von der Zeit?

Julian: Mit denen habe ich schon gesprochen.
Aber leider gibt es dort zum großen Bedauern der Inhaberin keinerlei Unterlagen mehr. Das ist alles im Krieg und in diversen Umzügen verloren gegangen ... 🙁

Anna: Das Verzeichnis eines befreundeten Klavierbauers (Danke Stefan, für die Recherche) sagt: Baujahr ca. 1915!

Zur Feier der Altersbestimmung ...

... und da ich die Mechanik zwischendurch mal wieder zusammensetzen kann, um sie im Flügel zu testen, bekommt er erst einmal ganz in Ruhe eine erste Stimmung, bevor es mit der Regulierung weiter geht ...

Beim "Geradelegen" der Klaviatur werden alle Tasten auf exakt gleiche Höhe justiert. Hierzu werden hauchdünne Papierscheibchen von bis zu 0,5 Micrometer (!!) am Waagebalken unter jede Taste gelegt.

Nun werden zur Einstellung der gleichmäßigen Spieltiefe am Vorderstift unterschiedlich dicke Papierscheibchen unter das Filzpolster unterfüttert:
0,05 / 0,2 / 0,5 / 1,0 mm.

Die Dämpfung ist dran und wie man beim Blick auf den Klaviaturboden sieht, ist da ein ziemliches Durcheinander 😉

Die Dämpferhebeleiste hatte ich mir neulich schon vorgenommen – eine gute Basis.

Sie brauchte dringend einen neuen Druckfilz – so richtig ebenmäßig war der wohl nicht mehr!

(Schade nur, dass ich nicht dokumentiert habe, wie das Ding vor der Reinigung aussah ...)

Zwischendurch heute mal ein kleiner Ausflug ins Hammerwerk:
Die Hämmer werden über kleine Schrauben auf den Hintertasten, die sogenannten Piloten, so eingestellt, dass sie im Ruhezustand exakt 45 mm unter den Saiten schweben.

Diskant und Mittellage sehen schon gut aus, aber im Bass zappelt es noch ein bisschen dolle ...

So richtig frisch sind die Dämpferfilze auch nicht mehr.
Also: neue rein.

Und beim Austrennen merke ich, dies sind offenbar noch die originalen Polster von 1915 !!
Die haben also schon 103 Jahre auf dem Buckel – dafür sehen sie gut aus 😉

 

Der Flügel ist nahezu fertig.
Jetzt bekommt er eine weitere Stimmung.

 

 

Draußen ist der Frühling ausgebrochen, die Sonne durchflutet den Raum und nur das Zwitschern der Vögel stört mein Ohr ...